Biblische Lehre

Die Vier Zustände des Menschen

Möchte man über Fähigkeit, Möglichkeiten und Umfang des freien Willen des Menschen sprechen finde ich eine vierfache Unterteilung äußerst hilfreich, von der ich mir wünschen würde, dass sie besser und mehr bekannt wäre.

Bereits Augustinus hat diese von der Schrift abgeleiteten Zustände in seinem Enchiridion (= Handbuch), dem Buch “vom Glauben, von der Hoffnung und von der Liebe” entwickelt (man vergleiche hier das 118 Kapitel). Augustinus betrachtet die Freiheit des Menschen in Bezug auf die Folgen von Fall, Wiedergeburt und Herrlichkeit. Es ergeben sich vier unterschiedliche Zustände, die sich sehr gut graphisch darstellen lassen:

Niemand geringeres als Thomas Boston hat sogar ein Buch über diese vier Zustände des Menschen geschrieben und in der reformierten Theologie wird diese Unterteilung regelmäßig aufgegriffen (Eine kleine Übersicht bei Monergism)

Ich durfte mit meinen Freunden und Mitbrüdern schon regelmäßig über den Freien Willen des Menschen debattieren und fand, dass das Berücksichtigen der vier Zustände die Debatte und vor allem unser Verständnis auf vielerlei Weise bereichert, unter anderem darin:

  • Es dreht sich nicht um Selbstbestimmung oder Selbstverwirklichung des Menschen als irgendwie alleinstehendes Wesen, sondern um seine Abhängigkeit vor Gott. Begegnet er diesem im Gehorsam oder in Rebellion der Sünde
  • Es wird deutlich gemacht, dass der Sündenfall auch Folgen auf den Willen (bzw. seine Fähigkeit Gottes Gebote zu erfüllen) hatte. Nun ist es natürlich so, dass heute kaum jemand unter Evangelikalen die Völlige Verderbtheit des Menschen in Frage stellt, aber gelegentlich klingt manch ein Christ doch so, als gebe es gute (im Sinne von Gottwohlgefällige) Anlagen in jedem natürlichen Menschen auch nach dem Fall. Nach dem Sündenfall konnte Gott nun mal keine Gemeinschaft mit Adam mehr haben. Er war nicht mehr in der Lage ihm zu gefallen: “Die aber, die im Fleisch sind, können Gott nicht gefallen.” (Römer 8,8). Augustinus sagte einmal, dass der gefallene Mensch nun die Freiheit eines Selbstmörders besitzt (nachdem er sich selbst umgebracht hat). Sich wieder zum Leben erwecken kann er halt nicht.
  • Noch wichtiger finde ich, und was heute sehr häufig vernachlässigt wird, ist dass man den Augenmerkt darauf lenkt, dass in der Wiedergeburt auch der Wille des Menschen neu wird (man könnte auch sagen: befreit aus der Knechtschaft der Sünde). Zum einen gibt uns das Mut, als Christen uns selbst nicht mehr nur als völlig verdorben zu sehen, sondern als eine adoptierte Neuschöpfung Gottes. Andererseits macht es auch klar: So wie bei der Geburt, der Wille des Menschen geboren wird, so wird er bei einer Wiedergeburt natürlich von neuem geboren. Wir bekommen in der Neugeburt die Fähigkeit ein Gottwohlgefälliges Leben zu führen.
  • Dennoch bleibt der Kampf von altem und neuen Adam bestehen, bis wir die Auferstehung (oder die Entrückung) erleben, in der unser fleischlicher Leib in einen geistlichen verwandelt wird, und die Sünde endgültig besiegt ist.
  • Das macht deutlich, dass die biblische Perspektive auf “Freiheit” eine andere ist, als die wir heute selbstverständlich annehmen. Irgendwie sind wir zu sehr vom zweiten Zustand geprägt, dass wir mit Freiheit die Option oder die Wahl der Sünde und der Fehlentscheidung verbinden. Aber werden wir im Himmel frei sein? Die Bibel spricht davon, dass wir erst im Himmel richtig frei werden? Doch werden wir im Himmel sündigen können sicher nicht? Ist Gott etwa nicht das freiste Wesen das es überhaupt gibt? Aber könnte Gott sündigen? Natürlich nicht! Das Biblische Verständnis von Freiheit ist es, nur noch das zu wollen, was Gott will, oder mit den Worten des Westminster Bekenntnisses: “Der Wille des Menschen wird erst im Stand der Herrlichkeit vollkommen und unveränderlich frei gemacht, nur Gutes zu tun.” (Artikel 9.5)

Ich habe versucht diese Beobachtungen zusätzlich zu visualisieren:

Man muss nicht mit jeder dieser Ausführungen einverstanden sein, man kann aber sehr schnell erkennen, dass das ein viel umfassenderer und gründlicher Ansatz der Frage ist: Wie frei ist eigentlich der Mensch in seinen Entscheidungen. Viele moderne Ansätze verwechseln Selbstverwirklichung mit Selbstverleugnung, gehen davon aus, dass auch ein fleischlicher Mensch Gott gefallen kann und/oder machen keinerlei Unterschiede in der Freiheit und dem Willen des Menschen ob er nun wiedergeboren ist oder nicht.

Überhaupt hat das Westminster Bekenntnis genau diese vier Zustände in das Kapitel 9 eingebaut, in dem sie den Freien Willen des Menschen diskutieren. Ich kann jedem nur empfehlen dieses Kapitel hier mit den genannten und aufgeführten Bibelstellen nachzulesen (kostenfrei von T. Schirrmacher zusammengestellt)

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert