Theologie, Übersetzungen, Zitat

Luther zur Übersetzung von Röm 3,28

Ein Vorwurf so alt wie die Reformation ist ja die Übersetzung Luthers von Röm 3,28: »Wir halten (dafür), daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.«  Das Wörtchen allein löste bereits zur Lebzeiten Luthers einen Sturm an Empörung aus! Wobei natürlich eine Übersetzung, die nur diesen einen Mangel hätte, ja durchaus als hervorragend zu gelten hätte, möchte ich hier auf eine Schrift Luthers aufmerksam machen:
Wenig bekannt zu sein scheint, dass Luther in seinem “Sendbrief vom Dolmetschen” selber auf diesen Einwand eingegangen ist. Ein umfangreiches Zitat hier (der Text ließt sich leicht, flüssig, man ist oft belustigt, aber er ist wohl auch nichts für katholische Ohren…). Ich konnte mich nicht entscheiden welcher Abschnitt am sinnvollsten ist, aber die Quintessenz findet sich wohl vor allem im von mir kursiv gesetzten Teil (für die Eiligen–> Aber ihr verpasst definitiv was, seid also gewarnt!):
“Dem ehrbaren und klugen N., meinem geneigten Herrn und Freunde. Gnade und Friede in Christus. Ehrbarer, kluger, lieber Herr und Freund! Ich habe Eure Zuschrift empfangen mit den zwei Fragen, darin Ihr meines Unterrichts begehrt: Erstens, warum ich (im Brief an die Römer) im dritten Kapitel (Vers 28) die Worte des Paulus: »Arbitramur hominem iustificari ex fide absque operibus« so verdeutscht habe: »Wir halten (dafür), daß der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.« Ihr weist dabei darauf hin, wie die Katholiken sich über die Maßen unnütz ereifern, weil im Text des Paulus nicht das Wort »sola« (allein) stehet und solcher Zusatz von mir in Gottes Wort nicht zu leiden sei usw. Zum zweiten, ob auch die verstorbenen Heiligen für uns bitten, weil wir (Hiob 33, 32 ff.) lesen, daß ja die Engel für uns bitten usw. Auf die erste Frage (wo es Euch gelüstet) mögt Ihr Euren Katholiken von mir aus so antworten:

Zum ersten, wenn ich, D. Luther, das hätte erwarten können, daß die Katholiken alle auf einen Haufen so geschickt wären, daß sie ein Kapitel in der Schrift recht und gut verdeutschen könnten, so wollte ich mich fürwahr demütig gezeigt und sie um Hilfe und Beistand gebeten haben, das Neue Testament zu verdeutschen. Aber dieweil ich gewußt und noch vor Augen sehe, daß ihrer keiner recht weiß, wie man übersetzen oder deutsch reden soll, habe ich sie und mich solcher Mühe überhoben. Das merkt man aber wohl, daß sie aus meinem Übersetzen und Deutsch (überhaupt erst) deutsch reden und schreiben lernen, und mir so meine Sprache stehlen, davon sie zuvor wenig gewußt haben. Sie danken mir aber nicht dafür, sondern brauchen sie viel lieber wider mich. Aber ich gönne es ihnen wohl; denn es tut mir doch sanft, daß ich auch meine undankbaren Jünger, dazu meine Feinde, reden gelehrt habe.
Zum zweiten mögt Ihr sagen, daß ich das Neue Testament verdeutscht habe, nach meinem besten Vermögen, und in (Verantwortung vor) meinem Gewissen. Damit habe ich niemand gezwungen, daß ers lese, sondern (es jedem) freigelassen, und es allein denen zu Dienst getan, die es nicht besser machen können. Es ist niemand verboten, ein besseres zu machen. Wers nicht lesen will, der laß es liegen. Ich bitte und preise niemand darum. Es ist mein Testament und meine Übersetzung – und soll mein bleiben und sein. Hab ich drinnen irgendwie fehlgegriffen – dessen ich mir noch nicht bewußt bin, wie ich freilich ungern auch nur einen Buchstaben absichtlich falsch übersetzt haben wollte -, darüber will ich die Katholiken nicht zu Richtern leiden. Denn sie haben noch zur Zeit zu lange Ohren dazu, und ihr Ika ika ist zu schwach, mein Verdolmetschen zu beurteilen. Ich weiß wohl, und sie wissens weniger als des Müllers Tier, was für Kunst, Fleiß, Vernunft, Verstand zum guten Übersetzer gehöret; denn sie habens nicht versucht.
Es heißt: Wer am Wege bauet, der hat viele Meister. So gehet mirs auch. Diejenigen, die noch nie haben recht reden können, geschweige denn übersetzen, die sind allzumal meine Meister, und ich muß ihrer aller Jünger sein. Und wenn ich sie hätte fragen sollen, wie man die ersten zwei Worte Matth. 1, 1 »Liber generationis« hätte verdeutschen sollen, so hätte ihrer keiner gewußt Gack dazu zu sagen, und sie kritisieren mir nun das ganze Werk, die feinen Gesellen. So ging es Hieronymus auch, als er die Bibel verdolmetschte. Da war alle Welt sein Meister, er allein war es, der nichts konnte, und (es) beurteilten diejenigen dem guten Mann sein Werk, die ihm nicht genug gewesen wären, daß sie ihm die Schuhe hätten wischen sollen. Darum gehört große Geduld dazu, so jemand etwas öffentlich Gutes tun will. Denn die Welt will Meister Klügling bleiben5 und muß immer das Roß vom Schwanz her aufzäumen,6 alles meistern und selbst nichts können. Das ist ihre Art, davon sie nicht lassen kann.
Ich wollte dennoch gern den Katholiken sehen, der sich hervortäte, und etwa einen Brief des Paulus oder einen Propheten verdeutschte, sofern er des Luthers Deutsch und Dolmetschen nicht dazu gebrauchte: da sollte man ein feines, schönes, löbliches Deutsch oder Dolmetschen sehen! Denn wir haben ja den Sudler zu Dresdengesehen, der mein Neues Testament gemeistert hat – ich will seinen Namen in meinen Büchern nicht mehr nennen; ebenso hat er nun auch seinen Richter, und ist sonst wohl bekannt -, der bekennet, daß mein Deutsch süß und gut sei. Er sah wohl, daß ers nicht besser machen konnte, und wollte es doch zuschanden machen, fuhr (also) zu, und nahm sich mein Neues Testament vor, fast Wort für Wort, wie ichs gemacht habe, strich meine Vorrede, Anmerkungen und Namen weg, schrieb seinen Namen, Vorrede und Anmerkungen dafür hin und verkaufte so mein Neues Testament unter seinem Namen. Ei, liebe Kinder, wie geschah mir da so wehe, da sein Landesfürst mit einer greulichen Vorrede verdammte und verbot, des Luthers Neues Testament zu lesen, (und) doch gleichzeitig gebot, des Sudlers Neues Testament zu lesen, welches doch eben dasselbe ist, das der Luther gemacht hat!
Und daß nicht jemand hier denke, ich lüge: so nimm Dir beide Testamente vor, (das) des Luthers und des Sudlers, vergleiche sie miteinander, so wirst Du sehen, wer in allen beiden der Übersetzer sei. Denn was er an wenigen Stellen geflickt und geändert hat, so kann ichs doch wohl leiden, obwohl mirs nicht alles gefällt, und schadet mir nicht besonders, soviel es den Text betrifft. Darum habe ich auch nie dawider schreiben wollen, sondern habe der großen Weisheit lachen müssen, daß man mein Neues Testament so greulich verlästert, verdammt, verboten hat, weil es unter meinem Namen ausgegangen ist, (es) aber doch hat lesen müssen, dieweil es unter eines andern Namen ausgegangen ist. Trotzdem: was das für eine Tugend sei, einem andern sein Buch verlästern und schänden, danach dasselbe stehlen und unter eigenem Namen dennoch ausgehen lassen, und so durch fremde (vorher) verlästerte Arbeit eigenes Lob und Namen suchen, das laß ich seinen Richter finden. Mir ist indes genug und bin froh, daß meine Arbeit, wie Paulus Phil. 3, 18 auch rühmet, auch durch meine Feinde gefördert, und des Luthers Buch ohne Luthers Namen, unter seiner Feinde Namen, gelesen werden muß. Wie könnte ich mich besser rächen?
Und auf daß ich wieder zur Sache komme: Wenn Euer Katholik sich sehr unnütz machen will mit dem Wort »sola« = »allein«, so sagt ihm flugs so: Doktor Martinus Luther wills so haben, und sagt: Katholik und Esel sei dasselbe. Denn wir wollen nicht der Katholiken Schüler noch Jünger, sondern ihre Meister und Richter sein, wollen auch einmal stolz sein und prahlen mit den Eselsköpfen. Und wie Paulus wider seine tollen Heiligen sich rühmet (2. Kor. 11, 22 f.), so will ich mich auch wider diese meine Esel rühmen. Sie sind Doktoren? Ich auch. Sie sind gelehrt? Ich auch. Sie sind Prediger? Ich auch. Sie sind Theologen? Ich auch. Sie sind Disputatoren? Ich auch. Sie sind Philosophen? Ich auch. Sie sind Dialektiker? Ich auch. Sie halten Vorlesungen? Ich auch. Sie schreiben Bücher? Ich auch.
Ich will weiter rühmen: Ich kann Psalmen und Propheten auslegen; das können sie nicht. Ich kann übersetzen; das können sie nicht. Ich kann die heilige Schrift lesen; das können sie nicht. Ich kann beten; das können sie nicht. Und daß ich mich zu ihnen herablasse:ich kann ihre eigene Dialektik und Philosophie besser, als sie selbst allesamt, und weiß dazu fürwahr, daß ihrer keiner ihren Aristoteles verstehet. Und ist einer unter ihnen allen, der ein Prooemium oder Kapitel im Aristoteles recht verstehet, so will ich mich prellen lassen. Ich rede jetzt nicht zuviel; denn ich bin in all ihrer Kunst erzogen und erfahren von Jugend auf, weiß sehr wohl, wie tief und weit sie ist. Ebenso wissen sie auch gut, daß ichs alles weiß und kann, was sie können. Dennoch handeln die heillosen Leute gegen mich, als wäre ich ein Gast in ihrer Kunst, der allererst heute morgen gekommen wäre, und noch nie weder gesehen noch gehört hätte, was sie lehren oder können. So gar herrlich prangen sie herein mit ihrer Kunst und lehren mich, was ich vor zwanzig Jahren an den Schuhen zerrissen habe, daß ich auch mit jener Dirne auf all ihr Plärren und Schreien singen muß: Ich habs (schon) vor sieben Jahren gewußt, daß Hufnägel Eisen sind.
Das sei auf Eure erste Frage geantwortet. Und ich bitte Euch: wollet solchen Eseln ja nicht anders noch mehr antworten auf ihr unnützes Geplärre vom Wort »sola«, als so viel: Luther wills so haben und sagt, er sei ein Doktor über alle Doktoren im ganzen Papsttum. Da solls bei bleiben, ich will sie hinfort schlechterdings verachten und verachtet haben, solange sie solche Leute (ich wollt sagen Esel) sind. Denn es sind solche unverschämte Tröpfe unter ihnen, die auch ihre eigene, der Sophisten, Kunst nie gelernt haben, wie Doktor Schmied und Doktor Rotzlöffel und seinesgleichen: und stellen sich mir gleichwohl in dieser Sache entgegen, die nicht allein über die Sophisterei (hinausgeht), sondern auch (wie Paulus 1. Kor. 1, 20 sagt) über aller Welt Weisheit und Vernunft ist. Allerdings braucht ein Esel nicht viel zu singen, man erkennt ihn ohnehin schon an den Ohren.
Euch aber und den Unsern will ich anzeigen, warum ich das Wort »sola« habe gebrauchen wollen, obwohl Röm. 3, 28 nicht »sola«, sondern »solum« oder »tantum« von mir gebraucht ist. So fein sehen die Esel meinen Text an; aber doch habe ichs sonst anderswo als »sola fide« gebraucht, und will auch beides, »solum« und »sola«, haben. Ich hab mich des beim Übersetzen beflissen, daß ich reines und klares Deutsch geben möchte. Und ist uns wohl oft begegnet, daß wir vierzehn Tage, drei, vier Wochen ein einziges Wort gesucht und (danach) gefragt haben, habens (aber) dennoch zuweilen nicht gefunden. Beim Buch Hiob mühten wir uns, M. Philippus (Melanchthon), Aurogallus und ich so, daß wir in vier Tagen zuweilen kaum drei Zeilen fertigbringen konnten. Mein Lieber, jetzt wo es verdeutscht und fertig ist, kanns ein jeder lesen und meistern. Jetzt läuft einer mit den Augen durch drei, vier Blätter hindurch, und stößt nicht einmal an; wird aber nicht gewahr, welche Steine und Klötze da gelegen haben. Wo er jetzt drüber hingeht wie über ein gehobeltes Brett, da haben wir schwitzen und uns ängstigen müssen, ehe wir denn solche Steine und Klötze aus dem Wege räumten, auf daß man so fein dahergehen könnte. Es ist gut pflügen, wenn der Acker gereinigt ist; aber den Wald und die Wurzelstöcke ausroden und den Acker zurichten, da will niemand heran. Es ist bei der Welt kein Dank zu verdienen. Kann doch Gott selber mit der Sonne, ja mit Himmel und Erde, noch mit seines eigenen Sohnes Tod keinen Dank verdienen; sie ist und bleibt Welt in des Teufels Namen, weil sie ja nicht anders will.
So habe ich hier Röm. 3, 28 sehr wohl gewußt, daß im lateinischen und griechischen Text das Wort »solum« nicht stehet, und hätten mich solches die Katholiken nicht zu lehren brauchen. Wahr ists, diese vier Buchstaben »sola« stehen nicht drinnen. Diese Buchstaben sehen die Eselsköpfe an, wie die Kühe ein neues Tor, sehen aber nicht, daß die Absicht des Textes gleichwohl das »sola« in sich hat, und wo mans klar und deutlich verdeutschen will, so gehöret es hinein. Denn ich habe deutsch, nicht lateinisch noch griechisch reden wollen, da ich mir beim Übersetzen deutsch zu reden vorgenommen hatte. Das ist aber die Art unserer deutschen Sprache: wenn sie von zwei Dingen redet,17 deren man eines bejaht und das andere verneint, so gebraucht man das Wort »solum« = »allein« (nur) neben dem Wort »nicht« oder »kein«. Z.B. wenn man sagt: »Der Bauer bringt allein (nur) Korn, und kein Geld«; »Nein, ich hab wahrlich jetzt nicht Geld, sondern allein (nur) Korn«; »Ich hab allein (nur) gegessen und noch nicht getrunken«; »Hast du allein (nur) geschrieben, und (es) nicht durchgelesen«? Und dergleichen auf unzählige Weise im täglichen Gebrauch.
In diesen Redewendungen allen – wenn es gleich die lateinische oder griechische Sprache nicht tut, so tut es doch die deutsche – ist es ihre Art, daß sie das Wort »allein« (nur) hinzusetzt, auf daß das Wort »nicht« oder »kein« desto vollständiger und deutlicher sei. Denn obwohl ich auch sage: »Der Bauer bringt Korn und kein Geld«, so klingt doch das Wort »kein Geld« nicht so vollständig und deutlich, als wenn ich sage: »Der Bauer bringt allein (nur) Korn und kein Geld«; und hilft hier das Wort »allein« (nur) dem Wort »kein« so viel, daß es eine vollständige deutsche, klare Rede wird. Denn man muß nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man deutsch reden soll, wie diese Esel tun; sondern man muß die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den einfachen Mann18 auf dem Markt danach fragen, und denselben auf das Maul sehen, wie sie reden, und danach übersetzen, so verstehen sie es denn, und merken, daß man deutsch mit ihnen redet.
Z.B. wenn Christus (Matth. 12, 34; Luk. 6, 45) sagt: Ex abundantia cordis os loquitur: wenn ich den Eseln folgen soll, die werden mir die Buchstaben vorlegen, und so übersetzen: »Aus dem Überfluß des Herzens redet der Mund.«19 Sage mir, ist das deutsch geredet? Welcher Deutsche verstehet so etwas? Was ist »Überfluß des Herzens« für ein Ding? Das kann kein Deutscher sagen, er wolle denn sagen, es sei, daß einer ein allzu großes Herz habe, oder zu viel Herzens habe, obwohl das auch noch nicht richtig ist. Denn »Überfluß des Herzens« ist kein Deutsch; so wenig wie das Deutsch ist: »Überfluß des Hauses«, »Überfluß des Kachelofens«, »Überfluß der Bank«, sondern so redet die Mutter im Haus und der Mann auf der Straße: »Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über.« Das heißt gut deutsch geredet, dessen ich mich befleißigt, aber leider nicht immer erreicht noch getroffen habe. Denn die lateinischen Buchstaben hindern über alle Maßen, sehr gutes Deutsch zu reden.
Ebenso, wenn der Verräter Judas Matth. 26, 8 sagt: Ut quid perditio haec? und Mark. 14, 4: Ut quid perditio ista unguenti facta est? Folge ich den Eseln und Buchstabilisten, so muß ichs so verdeutschen: »Warum ist diese Verlierung der Salben geschehen«? Was ist das aber für Deutsch? Welcher Deutsche redet so: »Verlierung der Salben ist geschehen«? Und wenn ers richtig verstehet, so denkt er, die Salbe sei verloren, und er müsse sie etwa wieder suchen; obwohl das auch noch dunkel und ungewiß klingt. Wenn das nun gutes Deutsch ist, warum treten sie nicht hervor und machen uns ein solches feines, hübsches deutsches Neues Testament und lassen des Luthers Testament liegen? Ich meine ja, sie sollten ihre Kunst an den Tag bringen. Aber der deutsche Mann redet so: Ut quid etc.: »Was soll doch solche Verschwendung? Nein, es ist schade um die Salbe.« Das ist gutes Deutsch, woraus man erkennt, daß Magdalena mit der verschütteten Salbe verschwenderisch umgegangen sei und Schaden angerichtet habe. Das war des Judas Meinung: denn er dachte, bessere Verwendung zu schaffen.
Ebenso, da der Engel Luk. 1, 28 Maria grüßet und sagt: »Gegrüßet seist du, Maria, voll Gnaden, der Herr mit dir.« Wohlan, so ists bisher schlicht, den lateinischen Buchstaben entsprechend verdeutschet worden. Sage mir aber, ob das auch gutes Deutsch sei? Wo redet der deutsche Mann so: »Du bist voll Gnaden«? Und welcher Deutsche verstehet, was damit gesagt sei: »voll Gnaden«? Er muß an ein Faß voll Bier oder Beutel voll Geldes denken. Darum habe ichs verdeutscht: »du Holdselige«; damit ein Deutscher sich desto besser vorstellen kann, was der Engel mit seinem Gruß meinet. Aber hier wollen die Katholiken toll werden über mich, daß ich den Engelsgruß verderbet habe: obwohl ich damit noch nicht das beste Deutsch getroffen habe. Und hätte ich das beste Deutsch hier nehmen und den Gruß so verdeutschen sollen: »Gott grüße dich, du liebe Maria« – denn so viel will der Engel sagen, und so würde er geredet haben, wenn er sie auf deutsch hätte grüßen wollen – ich meine, sie (die Katholiken) sollten sich wohl vor großer Schwärmerei für die liebe Maria selbst erhängt haben, weil ich den Gruß so zunichte gemacht hätte.”
[Martin Luther: Ein Sendbrief vom Dolmetschen (1530). Martin Luther: Gesammelte Werke, S. 3148 (vgl. Luther-W Bd. 5, S. 85 ff.) (c) Vandenhoeck und Ruprecht
http://www.digitale-bibliothek.de/band63.htm ]

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