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Paulus im Kampf für den Schleier

“Doch es müsste hier, wie es bei allen verschiedenartigen Einrichtungen, Zweifeln und Ungewissheiten zu geschehen pflegt, eine Prüfung angestellt werden, welche von den beiden verschiedenen Gewohnheiten mehr der göttlichen Sittenzucht entspricht.” (Der Kirchenvater Tertullian in “Über die Verschleierung der Jungfrauen”

Es gibt durchaus Themen, in denen ich in besonderer Weise mein Erbe als Evangeliums-Christ-Baptist schätze. Dazu zählt auch das Festhalten an der Kopfbedeckung bzw. dem Schleier der Frau.

Spannenderweise hat ausgerechnet Hanniel vor kurzem über dieses Thema einen Artikel gemacht. Ich gestehe, dass mich das  getriggert hat (obwohl es bereits mehrfach Anfragen zu diesem Thema gab).

Erlaubt mir in Kürze auf übliche Einwände offen und ehrlich einzugehen.

Einwand: Schirrmacher hat nachgewiesen, dass Paulus in Wirklichkeit gegen den Schleier gekämpft hat

Schirrmacher hat schon vor Jahrzehnten diese These aufgestellt, dass die Texte, die von einem Schleiergebot sprechen, eigentlich Aussagen der Korinther sind, die Paulus zitiert. Dabei geht Schirrmacher davon aus, dass der vollständige Abschnitt von 1. Kor. 11,4-9 eine Aussage der Korinther ist, die Paulus erst  ab V. 10 widerlegt. Dafür muss Schirrmacher zusätzlich V. 13 von einer Frage zu einem Aussagesatz umwandeln. “Aus Urteilt bei euch selbst: Steht es einer Frau wohl an, dass sie unbedeckt vor Gott betet? ” wird dann: “Urteilt bei euch selbst: Es steht einer Frau wohl an, dass sie unbedeckt vor Gott betet?”. 

Zunächst muss ich eingestehen, dass auch an anderen Stellen (so offenbar z.B. 1. Kor 6,12) Paulus Aussagen der Korinther zitiert. Ich würde auch nicht ausschließen, dass in diesem Abschnitt Aussagen der Korinther widergegeben werden. Doch die Zitattheorie, bringt mehrere Probleme mit sich, die mir sehr augenscheinlich erscheinen.

  • Aus welchem Grund sollte Paulus gegen den Schleier kämpfen? Gerade Schirrmacher wie viele andere reformierte Ausleger betonen gerne, dass das Neue Testament mit kulturellen Praktiken sehr nachsichtig waren. Sollte Paulus hier so entschieden eine kulturelle Eigenart bekämpfen, wäre das geradezu eine einmalige Stelle im Neuen Testament. Was sollte hier die Motivation sein, wenn das Judentum die Verschleierung der Frau ebenso kannte? Warum sollte das Beten mit Schleier problematisch sein? Wenn es hier “gesetzliche Tradition war” – Warum geht Paulus nicht in seiner Argumentation genau auf diese Wiederlegung ein?  Dass Frauen in der Öffentlichkeit Schleier trugen, findet sich in zahlreichen antiken Darstellungen, eine Auswahl z.B. hier. Offensichtlich war es kulturell üblich. Wenn sich die Christen bei solchen Dingen einfach kulturell anpassten, warum dann diese Gegenkultur von Paulus?
  • Die notwendige Anpassung von 1. Kor 11,13, die Schirrmacher vornehmen muss, wird in keiner mir bekannten Bibelübersetzung so geteilt.
  • Ein derart ausführliches Zitat ist unnötig, um die These der Korinther zu erfassen. Warum so viel zitieren, aber so kurz erwidern?
  • Tertullian! (Ich liebe diesen Kirchenvater) hat um etwa 211 n.Chr. ein ganzes Werk der Frage gewidmet, ob sich auch Jungfrauen verschleiern sollen (siehe hier). Diese Frage kann aber nur gestellt werden, wenn es unter christlichen Gemeinden eine Verschleierungssitte gab. Folgt man Schirrmachers Logik, dann meint 1. Kor 11,16 (Ist aber jemand unter euch, der darüber streiten will, so soll er wissen, dass wir diese Sitte nicht haben – und die Gemeinden Gottes auch nicht) aber, dass keine christliche Gemeinde eine Verschleierungssitte kannte. Wie sollte aber ein derartiger nahezu vollständiger Konsens an einem frühen Kirchenvater vorbeigegangen sein, so dass er gerade vor einer entgegengesetzten Situation stehen würde?

Einwand: Ein Kopftuch ist kein Schleier im Paulinischen Sinne

Diesen Einwand bringt ebenfalls Schirrmacher in seinem weiter oben genannten Werk. Was soll ich dem entgegnen?

Dreimal Wassertropfen Sprengen sind auch keine Taufe im baptistischen Sinne der Taufe wie sie z.B. Phillipus im Wasser am Eunuchen aus Äthiopien durchgeführt hat! – Ich rede zu hart, man vergebe mir! Aber es ist doch in vielen Dingen so, dass wir nicht ganz genau wissen, wie das durchgeführt wurde. Ich würde generell jede Kopfbedeckung (Hut, Mütze, Schleier, Kopftuch etc…) als Erfüllung des paulinischen Gebotes an dieser Stelle verstehen. Diese kulturelle  Flexibilität erlauben wir uns auch in vielen anderen Punkten, wie z.B. bei den viel entscheidenderen Fragen nach dem Umgang mit den Sakramenten.

Ich bin hier doch versucht zu einem Rückeinwand:

Sicherlich kann man den Schleier anhand der Schrift viel besser begründen als Bäffchen und Kette mit Kreuz, auf die Schirrmacher wiederum nicht verzichtet. So viele Christen reden immer von Traditionen die uns mit der uralten Kirchengeschichte verknüpfen. Das ist aber beim Schleier der Frau viel besser gegeben als bei Bäffchen, Talar, lateinischer Messe, Sandsteinkirchen, bunten Gläsern usw.

Einwand: Das Kopftuch ist dann aber ein sakramentales Zeichen

Es gibt auch Meinungen auf “der rechten Seite”, die zu weit gehen. So gibt es die Tendenz das Kopftuch nahezu auf die gleiche Stufe wie Taufe und Abendmahl zu stellen (z.B. hier im  interessanterweise ausgerechnet vom Betanien Verlag herausgegebenen Buch “Gemeindesymbole für heute”  oder hier von  R. Ebertshäuser vertreten). Das geht mir deutlich zu weit, da nur Taufe und Abendmahl die Vereinigung der Christen mit Christus ausdrücken. Taufe und Abendmahl sind sehr exklusive Bundeszeichen! Beim Kopftuch kann man nach 1. Kor. 11 im Besten Fall für die Vereinigung von Mann und Frau argumentieren, was aber doch auf einem anderen Level liegt. Deswegen wäre es z.B. ein Sakrileg, wenn ein Nichtgläubiger am Abendmahl teilnehme, nicht aber, wenn eine nichtgläubige Frau ein Kopftuch anzöge.

Einwand: Nur russlanddeutsche Evangeliumschristen und rumänische Pfingstler tragen das Kopftuch

Das ist ein Einwand der mich immer wieder überrascht. Als ich in Oxford unterschiedliche Gottesdienste besucht habe, habe ich sowohl bei den Anglikanern, wie bei den Katholiken viele Frauen mit Kopfbedeckung/Haube/Hut beobachtet. In Griechenland waren in einem typisch ländlichen griechisch-orthodoxen Gottesdienst sämtliche Frauen verschleiert. Sind die jetzt alle etwa auch russlanddeutsch geworden? In den Nachrichten finden sich gerade Berichte über den Oster-Gottesdienstbesuch von W. Putin. Achtet mal darauf, was “seine Frau” trägt. Und bei den Hochzeiten der Royals ist es nicht bloß “schicke Mode”, dass die Prinzessinnen und Gräfinnen mit schicken Hüten auftauchen.

Aber passt auf: Tatsächlich war es selbst in Deutschland gar nicht so lange her üblich, mit Schleier in den Gottesdienst zu kommen. Wenn ich mich davon überzeugen will, besuche ich das Gemeindemuseum der Herrnhuter Gemeinde im Nachbarort. Dort ist eine Abbildung aus der 500 Jahr Feier der Brüder-Unität zu sehen. Was denkt ihr? Die Frauen dort müssen sämtlich russlanddeutsch sein, denn alle tragen eine Haube. Dabei gab es ja 1957 gar keine Russlanddeutschen in Deutschland.

Einwand: Das ist eine völlig unwichtige Frage

Diesem Einwand kann ich über weite Strecken recht geben. So beobachte ich durchaus, dass dieses Thema zu sehr aufgebauscht wird. Kaum eine Predigt von Waldemar Justus wurde so oft angehört wie seine Predigt über “den Kampf des Paulus”. (Vergleicht 9150 (!!!) Aufrufe zu sonst etwa 200-300 Aufrufen – ich schweige über die thematische Nähe zu Schirrmachers Thesen). Das gleiche ist der ERB Frankfurt passiert. (36Tausend Aufrufe zu sonst etwa 1000). (ähnlich auch beim youtube-Video von Roger Liebi zu beobachten, obwohl Themen wie “Die Bibel hat den Russland-Einmarsch prophezeit” natürlich auch gut hypen).

Einmal beobachtete ich einen Bruder aus meiner Gemeinde, der die Möglichkeit hatte einen bekannten Theologen zu sprechen. Und die erste Frage die er stellte, war doch wirklich die nach dem Schleier.

Dafür dass es eine alte, rein kulturelle Frage der damaligen Zeit sein soll, liegt hier echt viel Interesse vor! Das empfinde ich durchaus als bedenklich (und habe deswegen so lange mit diesem Artikel gezögert), da viele Themen der Schrit, ob Dreieinigkeit, ob Menschwerdung Christi, ob Leben, Sterben und Auferstehen Jesu, ob Rechtfertigung oder Sühneopfer, ob Schöpfung oder Himmel, ob Rechtfertigung oder Heiligung – All das sind Fragen von einer viel größeren Wichtigkeit.

Aus diesem Grund spielt diese Frage niemals eine Rolle wenn wir Gäste bei uns haben, oder jemand anderen besuchen, der die Frage nach dem Schleier anders sieht. Das bekennen wir frei vor Gott und den Menschen, dass das unsererseits keine Bedeutung hat, um den Nächsten als Bruder/Schwester anzunehmen.

Und dennoch gibt es ja auch die Perspektive von uns aus: Meine Frau trägt ja das Kopftuch nicht ohne jegliche Begründung, als würde man so etwas einfach “in die Luft hinein tun”. Das Recht sich selbst eine Begründung zu geben, darf von der Nachsicht und selbst dem Verständnis gegenüber anderen Positionen nicht untergraben werden.  Viele Frauen und dazu gehört auch meine Frau lesen 1. Kor. 11 mit der Verantwortung, was es für sie selbst bedeutet und sehen im Schleier das Zeichen einer verheirateten Frau

Einwand: Du meinst das Zeichen für eine Frau im Gottesdienst nicht für eine verheiratete Frau, oder?

Das ist womöglich ein Detailaspekt, der meine eigene Position geringfügig von der üblichen Position der Evangeliums-Christen unterscheidet. Ich sehe aber die Fakten eher auf meiner Seite. Aufgrund der Schöpfungsordnung, die in 1. Kor 11.3 dargelegt wird, sehe ich vor allem eine Anweisung an verheiratete Frauen. In russlanddeutschen Gemeinden gibt es, um das auszudrücken,  häufig den Brauch der Anlegung der Kopfbedeckung nach einer Trauzeremonie.  Ich denke das trifft recht gut (ohne diese Zeremonie zu verteidigen) die Botschaft , dass es hier vornehmlich um ein Zeichen einer verheirateten Frau geht.

Das Paulus sich dennoch vor allem auf das Gottesdienstverhalten “beim Beten” beschränkt ist zugegebenermaßen ein schwieriger Punkt. Ich gehe von einer griechischen Kultur aus, in der verheiratete Frauen üblicherweise einen Schleier trugen (So führt es auch der berühmte Archäologe William Ramsay, siehe hier,  S. 33-34). Seltsamerweise kamen die Frauen in der Korinthergemeinde wohl auf die Idee, dass im Gottesdienst diese Unterordnung unter den Mann keine Rolle mehr spielt und zogen gerade im Gottesdienst den Schleier ab. Hier steuert Paulus entgegen (ebenfalls gerade im Gottesdienst). So in etwa würde ich das zu harmonisieren versuchen, wenn ich auch eingestehen muss, dass an dieser Stelle einige Unsicherheit bleibt. Diese Deutung habe ich so auch bei William Barclay in seiner Auslegung des Neuen Testaments gelesen (William Barclay ist dabei nun wirkich kein konservativer Bibelausleger)

Einwand: Deine Frau trägt nur das Kopftuch, weil es eure Ältesten verlangen

Kommen wir auch zu diesem kritischen Einwand. Ich habe gehofft durch meine Bloggertätigkeit nachweisen zu können, dass wir als Familie immer versuchen das zu tun, was wir für richtig vor Gott halten. In der Tat ist meine Frau so gut wie die einzige Frau unserer Ortsgemeinde, die in der Öffentlichkeit immer das Kopftuch trägt. Die meisten anderen beschränken sich auf Gottesdienstzeiten. Aber das liegt vor allem am unterschiedlichen Verständnis, das ich weiter oben geschildert habe. Aber es kann auch als Beweis dienen, dass wir auch diesen Punkt unabhängig von unseren Ältesten zu verstehen suchten.

Das beantwortet nicht die Frage, wie man sich verhalten soll, wenn man z.B. entgegen den Ältesten der Meinung ist, ein Kopftuch sei unnötig. Diese Frage, wie das Gewissen einerseits frei, und doch “dienstbar” bleibt, ist eine andere Frage, die ich z.B. in diesem Artikel verfolge.

Einwand: Das Tragen des Kopftuchs macht stolz und gesetzlich

Ein teilweise berechtigter Einwand. Einerseits beobachte ich schon sporadisch ein gewisses Überheblichkeitsgefühl. Aber das Problem ist dann der Stolz und nicht der Kopftuch. Ausreichend Frauen sind hochmütig geworden, ohne jemals überhaupt an einen Schleier gedacht zu haben. So ähnlich ist dass dann auch mit der Gesetzlichkeit. Welches Gebot Gottes können wir nicht in Gesetzlichkeit umwandeln?

Einwand: Der Schleier wurde durch moderne Zeichen wie z.B. Eheringe ersetzt

Die Eheringe drücken aber in keiner Weise die Schöpfungsordnung aus, wie es der Schleier nach der Erklärung von Paulus macht. (Deswegen verzichten wir als Ehepaar auch auf Eheringe, was nun aber wirklich ein Detail ist)

Ein Stück weit hat Tertullian schon recht damit, dass wir  uns nicht einfach mit einem Verweis auf “kulturelle Veränderungen” begnügen können. Wer macht den Kultur? Warum ist ein Ehering trendy und ein Schleier nicht? Warum sollte man das nicht wieder rückgängig machen sollen?

Es lässt sich nicht bestreiten, dass diese “Kulturwandlungskarte” aktuell sehr häufig gezogen wird. Aber mit welcher Begründung genau, argumentieren wir überhaupt so? Ich finde so kann man nur argumentieren, wenn man davon ausgeht, als ginge der Wandel in eine positive Richtung. Aber damit setzen wir eine Prämisse einfach ungeprüft voraus. Besser gefällt mir Tertullians Sicht: Doch es müsste hier, wie es bei allen verschiedenartigen Einrichtungen, Zweifeln und Ungewissheiten zu geschehen pflegt, eine Prüfung angestellt werden, welche von den beiden verschiedenen Gewohnheiten mehr der göttlichen Sittenzucht entspricht.


Fazit: Warum sollte 1. Kor. 11,1-16 nicht schlicht das meinen, was dort steht? 

 

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1 Kommentar

  1. Eine feine Ausarbeitung. Ich habe auch die von Hanniel veröffentlichte Predigt gehört und habe es so mal stehen lassen. Schön dass du dich dazu geäußert hast!

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