Andacht

Warum gehst du davon aus, dass du Gott kennst?

“Einmal wurde  Bernard von Clairvaux gefragt: “Warum lieben die Menschen Gott nicht?” Und er sagte: “Weil sie Ihn nicht kennen!“” (Zitat aus diesem Artikel)

Es ist immer wieder überraschend festzustellen, mit welcher Selbstverständlichkeit wir als Menschen davon ausgehen, das wir Gott bereits ausreichend gut kennen. Ob Arbeitskollege, Zufällige Begegnung auf der Straße oder der Nachbar an der Kirchenbank, – so oft findet sich die Überzeugung, dass wir Gott bereits in ausreichendem Maße und – hier vielleicht entscheidender – in korrekter Weise kennen.

Gerade Menschen, die mit “Gott nichts zu tun haben wollen”, sagen das ja gerade deswegen, weil sie überzeugt davon sind, dass sie ihn schon “gut genug” (besser formuliert: schlecht genug) kennen. Ich persönlich kann mich an keine einzige Begegnung oder ein Gespräch mit meinen Mitmenschen über Gott erinnern, in dem nicht die Überzeugung im Raum vorhanden war, dass man Gott doch eigentlich schon längst kenne.

Wie in allen Bereichen geschieht dann Folgendes: Das was ich schon kenne, da muss ich natürlich keine Zeit in weiteres Studium stecken. Warum sollte man sich mit etwas beschäftigen, was einem schon vertraut ist! Davon sind auch Christen betroffen: Beobachtet mal die Aufrufstatistiken von nahezu allen christlichen Blogs, Youtube-Predigten, Podcasts: Themen wie “Was gechieht in Israel, was die Offenbarung schon wusste”, “Müssen Frauen ihr Haupt bedecken” ,”Wie werde ich meinen Pastor los”, “Christen, macht euch selbstständig”, “Die gesetzlichen Russlanddeutschen”, “der Bibelraucher -ein Lügner” ziehen um ein Vielfaches mehr Leser, Hörer, Diskutierende ein als ein Thema wie “Das Wesen und die Eigenschaften Gottes”, “Gott erkennen”, “Gott kennenlernen”, “die Bibel verstehen”. Es ist uns als Christen häufig viel wichtiger einen Grund für das Rümpfen unserer Nase gegenüber den Fehlern unserer Mitmenschen zu haben, als Gott zu erkennen. Das erste , – so meinen wir oft -, sei schließlich aktuell, wichtig, relevant, dringend – während Gott doch allseits bekannt ist.

Das zeugt zunächst von einer verwirrenden Selbstüberschätzung. Wir scheinen zu meinen, dass Gott ein “leicht zu verstehendes” Wesen sei. Irgendwie wollen wir “Gott in die Tasche stecken”. Dabei hat gerade die Moderne gezeigt, das selbst die einfachsten Dinge der Schöpfung von unglaublich weitreichender Komplexität ist. Denke an “Apfel” – was wir hier finden ist eine komplexe “Sache” und ein ganzes Leben würde nicht reichen, um alle Tiefen des “Apfels” zu erfassen: Von der chemischen Zusammensetzung des Apfels, über die Fruchtentstehung, bis hin zu Pfelge, Beschneidung, Zuchtformen und dem Lebenszyklus eines ganzen Baumes.

Doch mit Gott haben wir es mit dem Schöpfer, dem Erfinder des Apfels zu tun, für den es ein Leichtes war, all diese Komplexität in die Schöpfung zu hinterlegen und meinen, ihn mit einigen Überlegungen ausreichend erfasst und verstanden zu haben.

“Ihr werdet sein wie Gott!” – mit diesen Worten verführte der Satan einst unsere Ureltern zu einem tiefen Fall und es scheint, dass unsere Geringschätzung Gottes genau hier ihren Anfang nahm, nämlich dass wir uns selbst für “Götter halten” – im Selbstwahn unseres Gottseins findet sich kein Platz für andere Götter, keine Akzeptanz, keine Duldung. Gott hat keinen Platz mehr in unserem Herzen.

Des Weiteren ist die Überzeugung dessen, dass man Gott kenne, eine Fehleinschätzung. Die Bibel wird nicht müde zu unterstreichen, dass man Gott nicht kennen kann, wenn er sich nicht offenbaren will. Natürlich spricht die Bibel auch von einer allgemeinen Offenbarung, die allen zugänglich ist (Röm 1.19-20). Doch auch diese findet ja bloß statt, weil Gott sie gnädiger Weise zulässt. Niemand kann Gott kennen, wenn er sich ihm nicht offenbart. Abraham kannte Gott nicht (Josua 24,2-3), bis Gott sich ihm offenbarte und ihn in die Nachfolge rief (1 Mo 12,1-2). Doch weder Abraham, noch Isaak, noch Jakob kannten je seinen Namen. Sie wussten nicht einmal, wie man Gott anspricht! Erst Mose bekommt zu hören: ““Ich bin Abraham, Isaak und Jakob erschienen als Gott, der Allmächtige; aber mit meinem Namen Jahwe habe ich mich ihnen nicht zu erkennen gegeben.”

In aller Kürze: Wir werden Gott nicht kennen, wenn er uns etwas nicht von seiner Art offenbart. Niemand konnte sogar wissen, das Jesus der Messias ist. Petrus hielt das für sein eigenes Wissen, doch Jesus sagt ihm: “Glückselig bist du, Simon, Bar Jona; denn Fleisch und Blut haben es dir nicht offenbart, sondern mein Vater, der in den Himmeln ist.” (Matthäus 16,17). War das nicht offensichtlich und häufig in den Propheten angekündigt worden? Hat Israel nicht die Torah gekannt? Haben die nicht eifersüchtig auf den Messias gewartet? Und dennoch unterstreicht Jesus, dass man ihn nur kennen kann, wenn es der Vater offenbart! Das passt mit Joh 6,44: “Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zieht; und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag.”

Sehr eng hängt damit auch eine Überzeugung zusammen, dass wir automatisch zum Richtigen und Wahren neigen würden. Der Überzeugung, dass wir das wahre Bild von Gott bereits haben, ist die Überzeugung verwandt, dass wir sowieso schon auf “dem rechten Acker”, “dem richtigen Gipfel” verankert sind. Warum sollte man etwas ändern, was gut funktioniert

Bevor ich zum letzten Punkt komme, ist ein Einschub oder ein Korrektiv nötig. Ich glaube schon, dass alle Menschen ein Wissen, eine Ahnung von Gott und Ewigkeit besitzen. Da wir in/zu “Gottes Ebenbild” geschaffen sind, sind wir schon “auf Gott hin programmiert”. Ich denke sogar, dass dieses Wissen unauslöschlich in uns einprogrammiert ist. Was aber eine wichtige Erkenntnis ist, ist dass diese Kenntnis Gottes unvollständig, fehlerhaft, verzerrt ist. Wir sehen in Gott weniger unseren einzigen Retter, als jemanden, vor dem wir weglaufen wollen. Sehr gründlich werden diese Überlegungen von Johannes Calvin in seiner Institutio (Buch 1, Kapitel 1-6) dargestellt. Vielleicht ein persönliches Zeugnis: Ich bin in einer heidnischen Familie geboren, die nichts vernünftiges von Glaube und Gott kannte und doch kann ich mich an keinen Tag meines Lebens erinnern, wo nicht das Bewusstsein Gottes vorhanden war. Als ich dann als Teenager die Bibel las, passte die spezielle Offenbarung wunderbar zur natürlichen Offenbarung. Es blieb der gleiche Gott, aber es wurde eine bessere, wahrere, rettende Erkenntnis Gottes (Der Zusammenhang von allgemeiner und spezieller Offenbarung Gottes findet sich sehr gut bei J.Gresham Machen in “Meine Gottesidee” dargestellt).

Der letzte Punkt ist, dass wir uns selbst am allermeisten schaden, wenn wir nicht Gott erkennen wollen. Im Umkehrschluss haben wir das Beste, Wichtigste und Nötigste erkannt, wenn wir Gott erkennen. “Wenn dein Wort offenbar wird, so erleuchtet es und macht klug die Unverständigen.” (Psalm 119,130).  Jemand, der auch in allen anderen Belangen dumm sein mag, aber Gott wahrhaftig kennt, hat die nötigste und wichtigste Erkenntnis bereits!  Aber das ist natürlich nicht möglich, dass man dumm bleibt, wenn man Gott kennt. Denn wer Gott erkannt hat, der ist wahrhaft weise. Das Zitat von Augustinus ist ja beinahe zu bekannt, aber immer noch gut: “Unruhig ist unser Herz, bis es seine Ruhe findet in dir (Gott)”.

J.I. Packer zitiert in “Gott erkennen” sehr ausführlich aus einer Predigt von C.H. Spurgeon (S. 17-18), der von den Vorzügen der Erkenntnis Gottes spricht:

“Jemand hat einmal gesagt: “Das eigentliche Studienobjekt der Menschheit ist der Mensch.” Ich will diesem Gedanken nicht widersprechen, aber ich glaube, es ist ebenso zutreffend, dass das eigentliche Studienobjekt der Erwählten Gottes Gott ist; das eigentliche Studienobjekt eines Christen ist die Gottheit. Die höchste Wissenschaft, das erhabenste Sinnen, die mächtigste Philosophie, der sich ein Kind Gottes voller Aufmerksamkeit widmen sollte, ist der Name, das Wesen, die Person, das Werk, die Taten und die Existenz des großen Gottes, den wir unseren Vater nennen dürfen. Es liegt etwas ungemein Erhabenes im Nachsinnen über die Gottheit. Sie ist ein so unermesslicher Gegenstand, dass alle unsere Gedanken sich in ihrer Größe verlieren. Sie ist so tiefgründig, dass unser Hochmut in ihrer Unendlichkeit versinkt. Andere Themen können wir erfassen und bewältigen; bei ihnen empfinden wir eine Art Selbstzufriedenheit und werden von dem Gedanken erfüllt: “Wie klug ich doch bin.”

Aber, wenn wir zu diesem Glanzstück der Wissenschaft kommen und feststellen, dass unser Senkblei seine Tiefe nicht ausloten kann, und dass unser Argusauge seine Höhe nicht ermessen kann, wird uns klar, dass der nichtige Mensch sich zwar für weise hält, aber in Wirklichkeit, nicht klüger als ein Eselsfohlen ist; und voller Ehrfurcht rufen wir aus: “Wer bin ich schon. Ich bin zu gering und weiß gar nichts.” Kein Gegenstand demütigt das Herz mehr, als die Gedanken über Gott. …

Doch obwohl dieser Gegenstand das Herz demütigt, lässt er es auch wachsen. Wer ft über Gott nachdenkt, gewinnt einen viel weiteren Horizont, als der, der nur unseren begrenzten Globus erforscht. … Das vortrefflichste Studium, das uns im Glauben wachsen lässt, ist die Lehre über Christus , und Ihn als den Gekreuzigten, und die Erkenntnis der Gottheit in ihrer wunderbaren Trinität. Nichts wird den Intellekt so beflügeln, nichts das Menschenherz so sehr erheben, wie eine gläubige, ernsthafte, anhaltende Beschäftigung mit der großartigen Thematik übe rdie Gottheit.

Und wie dieser Gegenstand zugleich demütigend und erhebend ist, ist er auch auf wunderbare Weise tröstlich. Ja, wir haben in der Betrachtung über Christus ein Heilmittel für alle Wunden; im Nachsinnen über den Vater kommt all unser Kummer zur Ruhe; und unter dem Einfluss des Heiligen Geistes finden wir den Balsam für jede Verletzung.

Möchtest du dein Leid überwinden? Möchtest du deine Sorgen ertränken? Dann tauch ein in das tiefe Meer der Gottheit, in seine Unermesslichkeit; und du wirst dich wieder erheben, wie von einer Ruhestatt – erneuert und gestärkt. Ich weiß von nichts Größerem, das uns so sehr ermutigen, die Wogen von Leid und Kummer stillen und die Stürme der Prüfung in Frieden verwandeln kann, wie ein aufrichtiges Nachsinnen über den Gegenstand der Gottheit”

 

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2 Kommentare

  1. Claudia Hübsch sagt:

    Warum nur fühle ich mich gerade überführt? Ganz so, wie auf frischer Tat ertappt!
    Ich möchte gar nicht ins Detail gehen, aber dieser Artikel (der beste, den ich in letzter Zeit gelesen habe) hat mir soeben auf erschreckende Weise die Augen über mich selbst geöffnet. Gott kennt mich ganz genau. Kenne ich meinen Schöpfer? Bis vor diesem Artikel habe ich auf diese Frage meist mit einem überzeugten JA geantwortet. Jetzt, in diesem Moment, weiß ich, dass ich nichts weiß und dass ich das schleunigst ändern sollte. Danke also für diesen Wachrüttler.
    Beste Grüße Claudia H.

    1. Hallo Claudia, danke für diesen Kommentar. Entschuldigen Sie die späte Antwort, wir waren die letzte Woche mit der Familie im Urlaub.
      Der Frage “Kenne ich meinen Schöpfer” kann und darf man ein ganzes Leben widmen. Ich finde es immer ermutigend neues von Gott zu lernen, da es eine Erkenntnis ist, die auch ins Himmlische hinein reichen wird.

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